1996 nahm die Corteco KG ihre Tätigkeit auf. In 25 Jahren hat sich das Handelsunternehmen im freien Ersatzteilgeschäft (IAM) sehr gut entwickelt – und die strategischen Weichen für weiteren Erfolg gestellt. Im Interview mit „Sealing World“ blicken drei Führungskräfte auf die Vergangenheit von Corteco zurück und werfen einen Blick in die Zukunft: Jason Meier, Senior Vice President, Jürgen Friedl, Vice President, Corteco Europe, und Thomas Mettke, Geschäftsführer der Corteco Hirschberg GmbH.

Corteco beliefert Großhändler im freien Automobil-Ersatzteilmarkt unter anderem mit Dichtungs- und Schwingungstechnik und Filterlösungen. Stammen denn alle Teile aus der Produktion von Freudenberg?
Mettke: Unser Ziel ist es, mehr als 75 Prozent aller im Einsatz befindlichen Fahrzeuge mit unseren Produkten abzudecken. Um dieses Ziel zu erreichen, nutzen wir die Stärke unserer Freudenberg-Geschäftsgruppen, aber auch externer strategischer Lieferkettenpartner.
Was war der Anlass für die Gründung von Corteco im Jahr 1996?
Friedl: Freudenberg hatte sich zuvor fast ausschließlich auf die Erstausrüstung und den Ersatzteilbedarf der Hersteller (Original Equipment Manufacturer, OEM) konzentriert. Diese Fokussierung bedeutete, dass Freudenberg einen attraktiven Teil des Lebens- und Reparaturzyklus von Fahrzeugen verpasste: den freien Ersatzteilmarkt. Denn sobald ein Fahrzeug in die zweite oder dritte Phase seines „Lebens“ eintritt, wenn es also fünf, acht Jahre oder noch älter ist, wenden sich die Besitzer an freie Werkstätten. Mit der Gründung von Corteco als spezielle IAM-Marke für die vielfältigen Anwendungen, die der Markt verlangt, hat Freudenberg davon profitiert, den gesamten Reparaturlebenszyklus eines Fahrzeugs zu bedienen.
Mettke: Das breit gefächerte IAM-Handelsgeschäft mit vielen Hundert Kunden erfordert völlig andere logistische Strukturen und Planungsprozesse, als sie Freudenberg bis zur Corteco-Gründung hatte.
Friedl: Auf dem unabhängigen Ersatzteilmarkt schlägt die Verfügbarkeit den Preis. Das bedeutet, dass wir ein umfassendes Sortiment und den passenden logistischen Service benötigen, um Teile in großen und kleinen Mengen „just in time“ zu liefern. Und wir müssen das ad hoc tun, das heißt, wir haben keinen Vorlauf. Wir kennen zwar die Reparaturquoten für einzelne Fahrzeugtypen und ihre Anwendungen, aber wir wissen nicht, wann ein Fahrzeug repariert werden muss. Hierfür brauchen wir eine speziell darauf ausgerichtete Organisation mit einem breiten, schnell verfügbaren Sortiment und hoher Flexibilität.
Welche Erfolgsfaktoren gelten im IAM?
Mettke: Das Ersatzteilgeschäft basiert auf Vertrauen, auf persönlicher Betreuung. Das erfordert Kundennähe und einen kompetenten Außendienst. Mittelständische Kunden schätzen es, wenn sie auch mal den Geschäftsführer zu Gesicht bekommen. Zusätzlich zu diesen Faktoren punkten wir mit unserem breiten Sortiment und unserer hohen Qualität, aber auch mit unserer Schnelligkeit und Flexibilität. Ein Beispiel sind unsere Nachtexpresslieferungen, die es einer Werkstatt ermöglichen, eine eilige Reparatur schon am nächsten Morgen durchzuführen.
Welche Rolle spielen dabei digitale Dienste?
Friedl: Eine sehr große. Corteco ist in puncto Digitalisierung bereits sehr gut aufgestellt. Wir verfügen über verschiedene digitale Tools, um insbesondere für das Replenishment und das Category Management zusätzliche Entscheidungshilfen bereitzustellen – um festzulegen, welche Bauteile wir grundsätzlich in unser Programm nehmen und welche davon auf Lager gelegt werden.
Können Sie uns bitte Beispiele nennen?
Friedl: Wir setzen seit Jahren digitale Tools wie die Software AddOne im Inventory Management und Replenishment ein. Im Kundendienst verwenden wir die TecOrder-Schnittstelle. Damit können wir Aufträge komplett digital „end to end“ bearbeiten: von der Bestellung bis zur Rechnung, inklusive aller relevanten Fracht- und Zollpapiere, auch für den Export. Im laufenden Projekt „Wishdate“ rücken wir auch innerhalb unseres ERP-Systems den gewünschten Liefertermin des Kunden ins Zentrum für Materiallauf, Disposition und Auftragsbestätigung. Darüber hinaus arbeiten wir an der Einführung der Software Price Fx, um für unsere knapp 70.000 Produkte weltweit in jeder Region den optimalen Preis zu finden.
Mit einem externen Dienstleiter nehmen wir zudem die Click-Rate in den Warenkörben der Online-Shops unserer Kunden unter die Lupe. Suchen Kunden hier nach Wettbewerbsprodukten, weist uns dies auf mögliche Lücken in unserem Portfolio, auf eine Preisdiskrepanz im Markt oder auch auf mangelnde Markenbekanntheit hin. In all diesen Fällen verfügen wir jetzt über Daten, die uns bei unseren Maßnahmen unterstützen.
Zusätzlich haben wir ein eigenes Team gebildet, das Daten nicht nur analysiert, sondern tatsächlich auch selbst Katalogdaten generiert. Das Ergebnis ist, dass Mechaniker in den freien Werkstätten zuverlässig die eine im konkreten Einzelfall passende Teilenummer von Corteco finden und bestellen können.
Die Division Corteco besteht heute aus zwei Marken: Corteco und TransTec. Was unterscheidet beide?
Meier: Die Zusammenführung des TransTec- und Corteco-Geschäfts unter dem Dach der globalen Corteco-Organisation im Jahr 2013 markiert einen Meilenstein in unserer Geschäftsentwicklung. Auch TransTec ist im Ersatzteilmarkt aktiv und verfolgt dieselbe Qualitätsphilosophie, bedient aber eine andere Kundengruppe: Spezialisten, professionelle Instandsetzer und Aufbereiter kompletter Fahrzeugsysteme wie Getriebe und Lenkung sowie Händler, die Teile an Spezialwerkstätten verkaufen. TransTec erstellt für diese Anwendungen ein Rebuild-Kit, das alle für die Reparatur erforderlichen Komponenten enthält – Dichtungen, Metallringe, Filter oder Befestigungselemente. Corteco hingegen beliefert allgemeine Werkstätten über Distributoren, die Teile von der Auspuffanlage bis zur Zündkerze vertreiben.
Die Marke Corteco ist also vor allem in Europa führend, TransTec hingegen in Nordamerika?
Meier: Das ist richtig und daraus leitet sich auch eine unserer wichtigsten strategischen Initiativen ab: Wir wollen unsere beiden Geschäftsmodelle auch auf dem jeweils anderen Kontinent noch stärker zum Erfolg führen. Die Aussichten für TransTec in Europa sind unter anderem deshalb günstig, weil der Anteil der Fahrzeuge, die mit Automatikgetrieben ausgestattet sind, hier stark ansteigt. Umgekehrt stehen die Chancen gut, das erfolgreiche europäische Corteco-Modell auf den amerikanischen Kontinent zu übertragen, da der Fahrzeugbestand mit vielen globalen OEM-Marken stark fragmentiert ist.
Wie stellen Sie sich auf den Trend zur Elektromobilität ein?
Friedl: Eines vorweg: In Europa machen wir drei Viertel unseres Geschäfts mit Fahrzeugen, die bis zu 15 Jahre alt sind. E-Autos, die heute zugelassen werden, tangieren Corteco voraussichtlich erst in zirka acht Jahren. Die gleiche Vorlaufzeit haben wir im OEM-Geschäft. Dennoch bereiten wir uns natürlich schon seit einiger Zeit proaktiv auf den Wandel der Antriebstechnik vor. Ein Baustein ist dabei die Ausweitung unseres Sortiments im Bereich Fahrwerk und Lenkung. Hier arbeiten wir eng mit unseren strategischen Partnern in der Lieferkette zusammen.
Mettke: Noch eine Anmerkung zum Zeithorizont unseres Geschäfts: Wir halten heute noch Ersatzteile für den Golf 1 von Volkswagen aus den 1970er Jahren vor. Will sagen: Eine Umsatzbasis wird uns auch im Verbrenner-Geschäft voraussichtlich über Jahrzehnte hinaus erhalten bleiben. Und noch eine Beobachtung zum Thema Elektromobilität: Auch Batterien und Brennstoffzellen werden künftig überholt, also aufbereitet werden. Bei diesem Remanufacturing eröffnen sich auch für uns künftig neue Chancen.
Inwieweit ist die aktuelle geschäftliche Lage von der Covid-19-Pandemie geprägt?
Meier: In Anbetracht der vielen Herausforderungen haben wir uns gut geschlagen. Unser Umsatz und unsere Rentabilität liegen über den Ergebnissen, die wir vor der Pandemie erzielt haben. Nach dem Abschwung im Frühjahr 2020 haben sich der Markt und unsere Geschäfte im dritten Quartal 2020 schnell wieder erholt. Wir mussten von heute auf morgen von Kurzarbeit auf Mehrarbeit einschließlich Samstagsarbeit und Überstunden umstellen. Die Schwankungen und Nachfragespitzen entlang der gesamten Lieferkette waren im Verlauf der Pandemie enorm.
Unsere Marke stützt sich auf Menschen, Produkte und Prozesse. Wir haben das große Glück, dass wir tolle Mitarbeitende haben, die das Rückgrat unserer Organisation bilden. Ich möchte ihnen an dieser Stelle ausdrücklich für ihre Einsatzbereitschaft und Flexibilität danken! Die größte Herausforderung ist derzeit die Sicherstellung der Produktverfügbarkeit. Pünktliche Lieferung und Produktverfügbarkeit sind für viele Kunden die entscheidenden Kriterien bei der Wahl ihres Lieferanten. Diese Aspekte sind für sie oft wichtiger als Markentreue und Preisgestaltung.
Sie sprechen die Kundenwünsche an. Hat sich auch die Kundenstruktur verändert?
Meier: Ja, der freie Ersatzteilmarkt war bisher durch mittelständische Unternehmen geprägt, mit denen wir auf Augenhöhe verhandeln konnten. In den vergangenen Jahren haben wir jedoch in verschiedenen Regionen zahlreiche Fusionen und Übernahmen erlebt, die zu einer Marktkonsolidierung geführt und damit die Wettbewerbssituation insgesamt beeinflusst haben. Dieser Trend wird sich voraussichtlich fortsetzen und stellt für gut positionierte Anbieter wie Corteco sicherlich eine Herausforderung dar, aber auch Chancen, Marktanteile zu gewinnen.